In einer Erziehungs-hysterisierten Gesellschaft

von Georg Kasch

6. Mai 2012. Dass die Familie höllische Züge tragen kann, ist keine wirklich neue Erkenntnis. Dennoch überrascht die bitterböse Konsequenz, mit der Martin Heckmanns in „Vater Mutter Geisterbahn“ das Motiv der desolaten gesellschaftlichen Keimzelle in Sätzen von großer Schärfe durchspielt. Johann hätte Regisseur werden wollen, Anne Philosophin. Dann kommt Otto, und während Anne zu Hause bleibt und Johann versucht, sich seinen Copy-Shop-Job schönzureden, machen sie den Sohn zum neuen Projekt. Natürlich planen und inszenieren sie am Sohn vorbei – aber immer entlang einer Bildungs- und Erziehungs-hysterisierten Gesellschaft mit schwindenden Nachwuchszahlen.

Kreisen um eine Leerstelle
Dass diese Familie vieles, aber sicher kein warmes Nest ist, davon erzählt schon Alexander Wolfs Bühne: ein geschmacklos abgewohnter Bürocontainer, drumherum triste Graphic-Novel-Landschaft. Entsprechend ungemütlich bleibt’s in Christoph Fricks Inszenierung: Nele Rosetz’ Anne nölt ihre Forderungen an Mann und Kind heraus, Christian Erdmanns Johann braust auf und rudert gleich wieder zurück – ein Stellungskrieg zweier, die mal einander, mal das Kind zum Feind machen, ohne es sich je einzugestehen. Zwei zutiefst Verletzte, die um eine Leerstelle kreisen, die nicht benannt wird. vatermuttergb1 david baltzer"Vater Mutter Geisterbahn" © David Baltzer

Erst gegen Ende wird klar, dass das Kind längst mit dem Bade ausgeschüttet beziehungsweise in den Brunnen gefallen ist: Otto verstummt, ist nicht mehr da und aller elterliche Aufwand wohl eher therapeutisches Unterfangen, das der Sohn geisternd von außen dirigiert. Robert Niemanns lässt in seinem kindlichen Gesicht das fragende Unverständnis ebenso zucken wie naive Trauer und geisterhafte Verwunderung. War der Erziehungs- und Selbstverwirklichungsterror anfangs noch ziemlich komisch, bleibt am Ende nur noch ein eindrücklicher Grusel vor der familiären Geisterbahn. An der Außenwand des Wohncontainers steht „Wake up! After all it’s your life!“ – ein Weckruf, der in Fricks zunehmend düsterer Heckmanns'-Inszenierung eindrücklich Gestalt annimmt.

Vater Mutter Geisterbahn
von Martin Heckmanns
Uraufführung
Regie: Christoph Frick, Bühne und Kostüm: Alexander Wolf, Musik: Stefan Schneider, Dramaturgie: Martin Heckmanns, Julia Weinreich.
Mit: Christian Erdmann, Nele Rosetz, Robert Niemann.

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

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