Die Bühnenshow zur Hufeisentheorie

von Simone Kaempf

30. April 2012. Deutschlandrundfahrt der satirischen Art, wie sieht die aus? So zum Beispiel: Im Autoscooter kurven zwei Deutschlandreisende über die Bühne. Es ist der 13. Februar, Dresden, Gedenktag an die Bombennacht. Irgendwo auf der Straße eine Menschenkette, auch 7.000 Neonazis sind unterwegs. Den beiden Protagonisten läuft allerdings eine christlich orientierte Passantin über den Weg. Nach einleitendem Schlagabtausch lässt Autor Dirk Laucke seine beiden Schmuddeltypen schnell an der Stelle bohren, an der sich die unterschiedlichen politischen Lager treffen: "Meinen Sie nicht", wenden sie sich an die Frau, "wenn die Stadt einfach auf dieses geistig suboptimale Gedenken verzichten würde, geriete der Trauermarsch der Neo-Nazis in die Abseitsfalle des Obsoleten?"

angstundabscheu axeljschererWir abscheulichen Deutschen © Axel J. Scherer

Dirk Lauckes "Angst und Abscheu in der BRD" ist eine Materialschlacht aus live eingespieltem Recherchematerial, Geschichts-Schlagworten, gerahmt von einem Radiomoderator, der zwei Journalisten auf Recherche schickt. Der Blick in historisch durchsetzte Milieus, ob auf den Obersalzberg, nach Dresden oder zum Vertriebenentreffen in Schliersee, wird mit Humor gut abgezirkelt und ist so etwas wie die bühnenreif gewordene Hufseisentheorie, auf die sich auch Kristina Schröder jüngst berief: dass unterschiedliche Lager als gleichwertig dastehen, die es gar nicht sind.

Selbstironie zwischen Archivregalen

Diese Schnittstellen sieht Laucke nicht nur beim Dresdner Bombennachtgedenken, sondern auch in Teilen der 68er-Bewegung, wo er Antisemitismus aufspürt, oder wenn auf Demos anhand der Kleidercodes die unterschiedlichen Seiten nicht mehr auszumachen sind. Das von ihm selbst inszenierte Stück lässt Laucke zwischen vollgestapelten Archivregalen spielen. Bücher, Papier, Nippes türmen sich, auch ein Faktenfußnotenhüter hat sein Plätzchen und mischt sich von der Seite in die komödiantisch gehaltene Show ein. Selbstironie, Witz und historische Details mischen sich, alles mit Methode austariert. Was anfangs noch nach genauer politischer Positionsbestimmung aussieht, unterläuft schon bald die Sehnsucht nach Ordnung und bewegt sich auf größtmöglicher Distanz zu jeder Dokumentartheater-Ästhetik. Doch gerade in der Schnittstellensuche findet und dokumentiert Laucke die Gespenster der deutschen Geschichte, auf die er ohne Pathos oder falsche Töne schaut.

 

Angst und Abscheu in der BRD
von Dirk Laucke
Regie und Recherche: Dirk Laucke, Bühne und Kostüme: Simone Wildt, Film/Recherche: Matthias Platz, Musik und Sounds: Thomas Mahmoud, Dramaturgie: Rüdiger Bering, Matthias Frense.
Mit: Richard Barenberg, Mohammad-Ali Behboudi, Sergej Lubic, Anja Schweitzer, Hartmut Stanke.
www.theater-oberhausen.de

 

Zur Nachtkritik der Oberhausener Uraufführung

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