Die Kräfte eines Textes

von Georg Kasch

7. Mai 2012. Ein bisschen orientieren sich Preisverleihungen ja immer an Hollywood. Auch in Heidelberg, wo die Ehrungen nach geschätzter Wichtigkeit sortiert und dann von hinten nach vorne verliehen wurden, um die Spannung zu steigern. Nach dem Publikumpreis folgte der für die beste Zweitaufführungsinszenierung, eine Neuerung in Heidelberg: Der Sieger darf in wenigen Wochen bei den Mülheimer Theatertagen gastieren.

Stücktext oder Umsetzung der Inszenierung?

Über Geschmack sollte sich auch in dieser Kategorie nicht streiten lassen. Dass aber der alleinige Kurator Jürgen Berger gleich zu Beginn seiner Begründung Antje Schupps Inszenierung von Wolfram Lotz’ „Der große Marsch“ ausschloss mit der Begründung, er habe dem Stück nicht folgen können, befremdet: Berger nimmt sich so die Möglichkeit, zumindest die unbestreitbaren Qualitäten der Basler Arbeit zu entdecken und zu würdigen. Und auch sonst klebten seine Begründungen allein an den Texten (Thomas Freyers „Im Rücken die Stadt“ würdigte er ausführlich), ließen aber jeden Bezug zu den Umsetzungen vermissen. Den stellte immerhin Saarbrückens Intendantin Schlingmann her (praktisch, dass sie als Mitglied der Hauptjury gerade anwesend war), die als Vertreterin der Siegerinszenierung darauf verweist, dass sie keine Mühen gescheut hätten, um Rebekka Kricheldorfs „Villa Dolorosa“ auf die relativ kleine Heidelberger Kino-Bühne zu bringen: Dafür habe man das Bühnenbild „oben radikal abgesäbelt“.

Originäres Jugendtheaterstück

„Fatima“ von Atiha Sen Gupta erhält als bestes Jugendstück 6.000 Euro und wird in wenigen Wochen bei den Mülheimer Theatertagen gezeigt. Vollkommen zu Recht. Zwar gehörte „Tschick“ aus Dresden zu den absoluten Rennern des Festivals. Doch zum einen brauchen weder Wolfgang Herrndorf noch Robert Koall diesen Preis (auch ohne ihn entwickelt sich die Bühnenfassung gerade analog zur Vorlage zum vielgespielten Stück), während Sen Gupta in Großbritannien für „What Fatima Did“ bislang zwar zweimal nominiert war und bislang leer ausging, wie sie in ihrer Dankesrede erzählte. Zum anderen ist es umsichtig und fair, keine Romandramatisierung, sondern ein originäres Stück zu prämieren. Auch die Begründung klingt, als hätten die fünf Jugendlichen es „sich nicht leicht gemacht“, wie ihr Sprecher mit anmutig ironischer Gebärde sagte: Fasziniert hätte sie, dass die Titelfigur nie erscheine, sie sich mit etlichen der Rollen gut hätten identifizieren können und wie das Für und Wider von Fatimas Entscheidung diskutiert werde. Sympathisch und herzerfrischend auch das kleine Aufmerksamkeitsgerangel, das sich die Jury mit dem Vertreter der preisstiftenden Kurpfalz H & G Bank lieferte: Hier brennen Menschen für das, was sie tun, haben etwas zu sagen und wollen das auch loswerden. Wenn so das Publikum, vielleicht sogar die Kritik von morgen aussieht, muss man sich um diesen Teil des Theaters keine Sorgen machen.

Literarische Stimme Ägyptens

Einstimmig und schnell habe man sich fürs Siegerstück des Internationalen Autorenpreises in Höhe von 5000 Euro entschieden, sagte danch Jury-Mitglied Dirk Laucke: Eine „sehr eigene und sehr theatrale Form“ habe Dina Soliman in „D’Aires“ gefunden, wo sie „vielschichtig“ eine sexistische Gesellschaft porträtiere und die „Widersprüche in den Köpfen“ vor und nach der Revolution skizziere. Soliman stammelte auf der Bühen gerührte Dankesworte und wirkte vom Blumenstrauß erdrückt. Es ist das originellste der drei gelesenen Stücke, voller mythologischer Anspielungen, ein vielstimmig zersplitterter Frauen-Monolog, sicher noch nicht ausgereift, aber ohne Soapstruktur wie Zrinab Magdys "Rivo-loo-shun" und ohne Existenzialismus-Politur wie Hatem Hafez' packendes Kammerspiel "Angst". Soliman, 1987 geboren, hat schon mehrere Stücke veröffentlicht und bleibt in „D’Aires“ den postrevolutionären Entwicklungen gegenüber kritisch. Insofern könnte aus ihr tatsächlich eine wichtige literarische Stimme Ägyptens werden.

 

Mehr über den Autorenpreis, den Thomas Arzt erhielt, in einem Resümee von Esther Slevogt

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