Stücke aus artgerechter Haltung

von Katharina Schlender, Rolf Kemnitzer, Andreas Sauter

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Der deutsche Dramatiker ist ein scheues Reh. Er unterliegt dem Jagdrecht, was ihm egal sein kann, wenn er tot ist. Doch wie geht es dem lebenden Dramatiker? Was frisst er? Wohin läuft er? Und wie hält er es mit der Metapher?

Ist es nicht mal wieder Zeit für ein Symposium über die zeitgenössische Dramatik? Oder eine Autorentheaterwoche in Dinkelsbühl, mit dem Schwerpunkt Nordkorea. Brauchen wir nicht mal wieder eine Autorengruppe mit ganz viel Wut? Oder einen Artikel in der taz, der die Forderung nach Welthaltigkeit bejaht und verneint. Wir brauchen eine Ausschusssitzung des deutschen Bühnenvereins, in der ein Chor von Intendanten nach einer Verbesserung der Lage des deutschen Dramatikers ruft. Und wir brauchen eine vierte Oper in Berlin. Vor allem brauchen wir jene Unterspezies namens Nachwuchstalent. Wie zieht man es auf, und was steht ihm bevor?

Ein Stückemarkt ist eine gute Gelegenheit, so ein Talent einzufangen. Am besten das Siegerexemplar. Sein Name überzeugt nun auch die Jury der niederbayrischen Theatergemeinden und reist zu einem Stipendium in einer Klosterzelle in Ostpolen, wo es Flöhe kriegt und einen Preis aus Würzburg. Dann fährt es auf einem Frischfleischtransport nach Freiburg, wo eine junge Regisseurin es versteht und sein neues Stück so umarbeitet, dass auch der Ost-West-Konflikt darin zum Ausdruck kommt. Auf einem Autorenseminar findet das Talent endgültig seine ganz eigene Stimme und schreibt in dieser Machart gleich drei Stücke. Die drei Uraufführungen innerhalb von zwei Wochen enden für das Talent aus unbekannten Gründen in der Psychiatrie. Dann macht es ein erfolgreiches Radiofeature über das Scheitern und kriegt ein Kind. Weil es nicht mehr verstanden werden will, führt es jetzt selbst Regie in Cottbus oder schreibt zum Geldverdienen Nachrufe in der Lokalzeitung. Es erhält eine Hausautorenstelle in Frankfurt, die aber vor Antritt aus Geldmangel gestrichen wird. Dann darf es in der "Deutschen Bühne" schreiben, wie es ihm geht. Gut, schreibt es, gut geht es, gut.

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Wie lange ist ein Autor ein Talent? Und was, wenn ein Talent plötzlich Autor wird? Die Schwierigkeit ist dann nicht mehr, dass der Markt den Autor kennenlernt oder dass er den Theatermarkt kennenlernt, diese Erfahrungen sind gemacht. Die Schwierigkeit und auch das Spannende dieser Phase ist, auf dem Markt zu bleiben und weiter zu schreiben. Bedeutet es zu scheitern, wenn Texte dieser Phase nicht mehr vom Theater gespielt werden? Wie viel in Euro ist der Kontakt zu einem Hausregisseur in Detmold wert? Für eine Autorin oder einen Autor dieser Phase würde Scheitern bedeuten: Das Schreiben entwickelt sich nicht weiter, sie oder er liefert seine vom Theater bereits akzeptierte Stimme routiniert ab. Wie viel Prozent Selbstzweifel sind gut? Beginnt die dritte Stufe des Dramatikers hinter diesen Zweifeln, hinter dieser Suche?

Und plötzlich ist sie da. Die dritte Stufe. Und auch der Autor ist noch immer da. Er weiß jetzt, was er tut und staunt selber darüber. Seine Haare werden langsam grau, er hat die 40 überschritten und zwei Kinder und bekommt Angebote für 2.000 Euro ein Stück zu schreiben. Premierentermin in 3 Monaten, Thema: Industrielle Schweinefleischproduktion. Zwischendurch darf er auf Einladung für einen Autorenwettbewerb umsonst ein Exposé, eine Szenenfolge und drei Szenen schreiben.

Zur Premiere seines Auftragsstücks fährt er nicht, weil das Theater Übernachtung und Fahrtkosten nicht übernehmen will. Es bietet ein paar Gutscheine in der Theaterkantine. Ob er nicht noch einen Artikel fürs Programmheft schreiben könnte? Auch eine Anthologie sei geplant. Keine Honorare, aber Ehre und Nachruhm und zwanzig kostenlose Bände. Und der Autor wird 45, dann 50. Versehentlich wird er bereits jetzt für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In seinem nächsten Stück läßt er sich selbst auftreten und sterben. Oder auch nicht.

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Wie es den Autorinnen und den Autoren geht? Und wie der neuen Dramatik? Von welcher Dramatik wollen wir reden? Von der gespielten, der ungespielten oder von der nie geschriebenen?

Was sich durch unsere "Battle-Autoren"-Initiative vielleicht kurzfristig verändert hat, ist das Wissen um die missliche Lage der Autoren. Beim Symposium "Schleudergang neue Dramatik", das die Berliner Festspiele im Herbst 2009 veranstaltet haben, waren sich Autoren, Dramaturgen, Kritiker und Intendanten erstaunlich einig: Von "Flirträumen" war die Rede, von mehr "Liebe" zwischen Autoren und Theatern, von kontinuierlichen Arbeitszusammenhängen und besserer Einbindung der Autoren in die Arbeitsprozesse. Wunderbar.

Als wir in Folge ein Konzept für einen neuen Fonds bei der Bundeskulturstiftung zur Co-Finanzierung von 50 bis 100 Hausautorenstellen am Stadt- und Staatstheater, sowie in der freien Szene entwickelt haben, ergab die Prüfung der Bundeskulturstiftung allerdings, dass Theater keine Notwendigkeit für ein solches Förderprogramm sehen.

Was den Autoren wirklich helfen würde, wäre eine starke Gewerkschaft. Aber die marktwirtschaftliche Vereinzelung hat auch die Autorenschaft erreicht. Wo sind Räume außerhalb des Marktes? Wo eine neue Gruppe 47? Zum andern könnten Autoren versuchen, mit Druck auf die Kulturpolitik etwas zu verändern. Aber ist das der richtige Weg? Dass die Kulturpolitik die Theater zwingt, anders mit Autoren zu arbeiten?

Wir wollen die Theater als Partner und als Gegenüber gewinnen, um die Frage nach der heutigen und zukünftigen neuen Dramatik gemeinsam anzugehen. Unsere Initiative war und ist eine Einladung. Aber es zeigt sich, solange die Autoren das fünfte Rad am Theaterkarren bleiben, ist es schwer, sich wirklich auf Augenhöhe zu begegnen. Und die Autorinnen und Autoren sind im Theater bei weitem nicht die einzigen, die man sich möglichst billig hält. Man spielt Brecht, gibt sich sozialkritisch und offen, aber am Theater selbst herrscht Klassengesellschaft.

Wir produzieren weiter Ideen und rütteln am Betrieb. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir für Autorenarbeit ein Bio-Siegel einführen würden? Damit wir in Zukunft genauer wissen, was wir auf dem Teller haben: "Stücke aus artgerechter Haltung".

 

Die Dramatiker Katharina Schlender, Rolf Kemnitzer und Andreas Sauter gehörten 2007 zu den Gründern der Battle-Autoren, eine Initiative, die damals mit 10 Wünschen für ein künftiges Autorentheater an die Öffentlichkeit ging. Weitere Informationen findet man unter www.battle-autoren.de.


Am 1. Mai um 16 Uhr findet in der Traumfabrik (Hauptstraße 42) eine Diskussion statt mit dem Thema "Quo vadis, Dramatik?"

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