Nur ein kleiner Outfitwechsel

von Verena Großkreutz

2. Mai 2012. Warten auf Fatima. Die Titelheldin bleibt Phantom, sie erscheint nicht im Jugendstück der Britin Atiha Sen Gupta. Immer hat sie das Zimmer gerade verlassen, wenn die Szene einsetzt. Oder sie taucht auf wie ein Gespenst, das das Bühnenpersonal überrascht, aber für die Zuschauer nicht zu sehen ist. Ein Hinweis darauf, dass die Debatte ums Kopftuchtragen der Muslimas ohne die Betroffenen geführt wird und dass das umstrittene Kleidungsstück Frauen so gut wie unsichtbar macht. Denn in "Fatima" geht es um eine junge Türkin, die ihre Mitmenschen irritiert, weil sie – das freche Partygirl – nach den Sommerferien ihr Outfit gewechselt hat. Sie hat sich entschieden, von nun an die traditionelle Hidschab zu tragen. Aus freiem Willen und ohne einen Grund zu nennen.

fatima2 250 arzu sandalStuhlkreisgericht über eine Abwesende
© Arzu Sandal

Ihre Mutter ist schockiert: "Sie blamiert mich." Fatima sehe aus wie ein "scheiß fundamentalistischer Briefkasten". Fatimas Clique: vor den Kopf gestoßen. Dem jugendlichen politisch unkorrekten Witzereißen folgt Ratlosigkeit, die langsam zum Drama mutiert, in dessen Verlauf Fatimas Bruder ihrem Freund Georg die Nase blutig haut. Georg hat auf Fatimas Kopftuch gespuckt, nachdem er es ihr im Affekt vom Leib gerissen hat. Denn Georg ist verstört. Er liebt Fatima, selbst vor ihm will sie die Hidschab nicht abnehmen. Fatima reicht gegen Georg Beschwerde ein wegen "rassistischer Beleidigung". Georg droht der Schulverweis. Seine extreme Verletzung kompensiert er mit einem extremen Witz: Auf der geplanten Versöhnungsfeier der Freunde erscheint er im Hitlerkostüm – und macht sich damit endgültig zum Außenseiter.

Schwarzhumoriges Spiel

Regisseurin Mina Salehpour hat die deutsche Textversion von Anne Rabe rasant und leicht in Szene gesetzt, das sechsköpfige Ensemble zu jugendlich-authentischem und komödiantischem Spiel animiert und die schwarzhumorige Seite der Vorlage noch forciert. Höhepunkt: Der pädagogische "Stuhlkreis", mit dem die überforderte Klassenlehrerin die Schüler zur Debatte zwingt, die – ob tolerant geführt, vorurteilsbeladen oder die Moralkeule schwingend – mehr und mehr um sich selbst kreist. Irgendwann ist es nicht mehr wichtig, was, sondern nur noch wie es gesagt wird: indem die Protagonisten plötzlich mit Monsterstimme von Folterungen im Iran reden oder mit Fistelstimme vom Kopftuch als Modeaccessoire. Dass die Regisseurin "Fatima" in das Filmset einer Sitcom verlegt hat, ist eine nette Idee, wäre aber nicht nötig gewesen. Das Stück über die ungeheure Schwierigkeit, eine Riesen-Debatte sinnvoll zu Ende zu führen, in der es um ein geradezu zwergenhaftes Kleidungsstück geht, funktioniert auch ohne diese Beigabe ganz hervorragend.

 

Fatima
von Atiha Sen Gupta
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Mina Salehpour, Bühne: Jorge Enrique Caro, Kostüme: Maria Anderski, Dramaturgie: Vivica Bocks.
Mit: Susana Fernandes Genebra, Daniel Nerlich, Ali Berber, Denis Geyersbach, Maya Haddad, Anne-Marie Lux.
www.staatstheater-hannover.de/schauspiel

 

Zur Nachtkritik der Deutschsprachigen Erstaufführung in Hannover

Zum Essay über die Jugendstücke

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