Man muss Geheimnis erzeugen

von Michael Stadler

Der Dreck wird in das Wohnzimmer hineingetragen. An den Stiefeln klebt er, nachdem Volker draußen am Teich gearbeitet hat. Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Teppichboden zu reinigen und zu seiner Frau "Tut mir leid" zu sagen. Mit diesen drei Worten beginnt Markus Bauers neues Stück "Verachtung". Volker hat sich ein wenig kopflos verhalten. Und da sind vielleicht noch größere Flecken. Im rasanten Ping-Pong von Bauers Dialogen werden sie zum Vorschein kommen.

Das Geben und Nehmen ist bei diesem Paar aus der Balance. Volker arbeitet als Künstler, eigensinnig in seiner Ästhetik – er schießt nur noch monochrom schwarze Fotos – und gerade deshalb: erfolglos. Ina bringt als PR-Redakteurin das Geld nach Hause, finanziert Tochter Laura das Wochenende bei der Freundin und hat den Wohlstand ihrer Eltern im Rücken. Inas Familie gehört das sanierungsbedürftige Haus, das Volker nun gerne verkaufen möchte.

Karriere versus abseitige Originalität

Auf die Idee zu "Verachtung" sei er, nein, nicht durch den gleichnamigen Godard-Film, sondern durch einen Zeitungsartikel gekommen, erzählt Markus Bauer. Der Text habe sich um zwei Galeristen in Hamburg gedreht, vermutlich ein Paar. "Die verkauften dezidiert nur Werke von Leuten, die nicht so erfolgreich auf dem Kunstmarkt waren. Das hat lange funktioniert, aber dann wurden die Mietpreise so horrend, dass sie schließen mussten." In eine ähnlich prekäre Finanzlage versetzt Bauer seine Protagonisten Volker und Ina und offenbart nun Schritt für Schritt ein Beziehungsdreieck: Inas Schwester Kirsten kommt zu Besuch. Eine Schönheitschirurgin. Eine Karrierefrau. Ohne Kinder.

Kirsten und Volker stehen einander als Gegenpole gegenüber: die eine marktkonform auf Erfolgskurs, der andere bemüht um Originalität, im finanziellen Abseits. Von der Anziehungskraft zwischen den beiden wird noch die Rede sein. Kirsten möchte jedenfalls für ihre Praxis Volkers Werke kaufen. Schwarze Fotografien – das erinnert an das weiße Bild in Yasmina Rezas satirischer Auseinandersetzung mit der heutigen "Kunst". "Man versucht ja alles, um sich als Marke auf dem Kunstmarkt zu positionieren", meint Markus Bauer. "Um sich verkaufen zu können, muss man Geheimnis erzeugen. Dabei weiß Volker gar nicht, was er mit seinen Bildern sagen möchte." Einen Mangel an Utopien attestiert der Autor seinen Figuren, "sie sind nicht in der Lage, darüber zu reflektieren, wie man das Leben anders gestalten könnte".

Das Wohlstandsmodell ist morsch geworden

Das Gefühl existentieller Haltlosigkeit überträgt sich auf den einzigen Nachwuchs, der nur in Erzählungen vorkommt. Tochter Laura habe im Traum nach der Hand ihrer Mutter greifen wollen, heißt es einmal. Aber da waren nur Stümpfe. Auch auf großelterlicher Seite gibt es keine Stabilität mehr. Inas Mutter ist tot, der Vater liegt dement im Altenheim. Dass Bauer das derzeit populäre Thema Demenz ins Spiel bringt, sei reiner Zufall. "Mir ging es darum, den Bruch zwischen den Generationen zu zeigen. Die Eltern haben ein Wohlstandsmodell geschaffen, und es wird erwartet, dass dieses Niveau auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gehalten wird. Das funktioniert aber nicht."

Bauer hat selbst zwei Söhne, der eine drei, der andere sechs Jahre alt. Die finanziellen Ängste seiner Figuren teile er nicht, aber der Druck, sich als Marke positionieren zu müssen, sei nicht weit entfernt. "Auf dem Theatermarkt wird schon versucht, dich auf eine Art des Schreibens und Denkens festzulegen. Da muss man sich wehren, indem man weniger auf sich schaut, sondern auf Inhalte und Geschichten. Um für das Empfinden der Figuren eine Durchlässigkeit zu bewahren."

Das erste Stück: "Stehende Gewässer"

Zum Schreiben kam der 38-Jährige aus Heilbronn übers Regieführen. Zunächst hatte er Germanistik in Würzburg studiert, zog dann nach Leipzig, wo er auf Theaterwissenschaften umsattelte. Seine Magisterarbeit verfasste er nach zwei Auslandssemestern in Wien über die "Inszenierte Provokation im Leben und Werk von Thomas Bernhard". Nachdem Bauer am Staatstheater Stuttgart hospitiert hatte, arbeitete er 2002 als Regieassistent und Regisseur am Stuttgarter Theater Rampe, wo er anfing, sein erstes Stück "Stehende Gewässer" zu schreiben: "An der Rampe hatte ich verstärkten Kontakt mit zeitgenössischer Dramatik und dachte mir: Warum nicht auch ich?" Das Verfassen des Debüts verschleppte sich über die Jahre. 2003 zog Bauer nach Konstanz, wo er bis 2007 weiter Erfahrungen im Inszenierungsbereich sammelte. "Stehende Gewässer" erschien 2008 im Fischer Verlag und wurde sowohl zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens als auch zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen.

In seinem Debüt breitet Bauer die Geschichte einer Familienerbschaft über den Zeitraum von dreißig Jahren auf, in Rückblenden und episch-erzählenden Monologen. Mit "Verachtung" geht er in eine andere Richtung: "Ich wollte mir einen engeren Rahmen setzen, um zu sehen, ob es mir gelingt, die Psychologie, die Beziehungen der Figuren allein über Dialoge zu erzählen." So spielt "Verachtung" an einem Abend, das Drama entfaltet sich in Gesprächen

Bauer versteht es, zunächst eine spannungsvolle Schwebe zwischen berechtigtem Verdacht und überdrehter Paranoia herzustellen: Am Hals ihres Mannes meint Ina das Parfüm ihrer toten Mutter zu riechen, jenes Parfüm, das ihren Vater kurz zu Bewusstsein gebracht haben soll. Hat ihre Schwester Kirsten nicht dieses Parfüm benutzt? Haben Kirsten und Volker etwa eine Affäre? Und was hat Ina wirklich bei ihrem Vater getan? Der liegt plötzlich tot im Bett. Erst im vierten Akt treffen alle Figuren aufeinander, erst dann bringt Bauer entschlossen Licht ins Dunkle. Aber damit ist das Ende nicht erreicht. Am fünften Akt arbeitet er noch und will darin zeigen, "wie das gegenseitige Zerfleischen trotzdem weitergeht."

Thatchers neoliberaler Schlamassel

Vor der Vollendung von "Verachtung" für den Heidelberger Stückemarkt hat Bauer eine Auftragsarbeit für das Staatstheater Saarbrücken verfasst und selbst inszeniert. Das Drei-Personen-Stück "Thatcher" hatte Ende März Premiere. Auch im Blick auf Englands Eiserne Lady verhandelt er den Einfluss wirtschaftlichen Denkens auf die Dynamik der Beziehungen: "Heute ist ja jeder seine kleine Ich-AG und ist ständig damit beschäftigt, sich zu vermarkten. Diese Ich-Aufrüstung macht ein empathisches Zusammenleben immer weniger möglich. Mich hat interessiert: Wie kommen wir aus dem Schlamassel, den Thatchers Neoliberalismus angerichtet hat, wieder heraus?"

"Tut mir leid" – den Satz könnte man typisch nennen für eine jung gebliebene Generation auf permanenter Orientierungssuche. Denn wer sich zwischen Selbstverwirklichung, Broterwerb und Familienplanung aufreibt, hat schnell mal Dreck am Stecken. In "Verachtung" schaut Markus Bauer genau drauf, wie der Schmutz sich ablöst. Und was die Reinigung bringt.

 

Lesung von "Verachtung" am zweiten Autorentag, 5. Mai, um 11.00 im Zwinger 3

You have no rights to post comments