Zwischen den Welten

von Verena Großkreutz

Sami hasst Flughäfen. Sie erinnern sie an jenen Tag, als sie ihre Heimat Iran für immer verlassen musste. Als sie acht Jahre alt war, flohen ihre Eltern mit ihr vor dem Regime nach Deutschland. Die Reise in die Fremde begann auf dem Flughafen von Täbriz, ihrer Geburtsstadt, und endete erst einmal in der ernüchternd grauen Realität eines Asylbewerberheimes in Stuttgart.

Sami ist die Erzählerin des Theatermonologs "Stuttgart.Teheran", der beim diesjährigen Heidelberger Stückemarkt in einer neuen Fassung für eine Schauspielerin und einen zum Teil dialogisch aufgefächerten Chor gelesen wird. Sami ist das Alter Ego von Reihaneh Youzbashi Dizaji, die das Stück 2010 geschrieben und darin eine Menge Autobiographisches verarbeitet hat. Auch sie wurde als Kind aus ihrem Leben im Iran herausgerissen und nach Stuttgart verpflanzt. Ihre Familie erhielt Asyl und blieb. Reihaneh Youzbashi Dizaji besitzt schon lange den deutschen Pass. Auch den iranischen hat sie noch, denn der Iran entlässt seine Angehörigen nicht aus der Staatsbürgerschaft.

"Stuttgart.Teheran" (für Jugendliche ab 15 Jahren) war Reihaneh Youzbashi Dizajis erstes Theaterstück und initiierte einen wahren Schreibrausch. Sie habe derzeit gut fünfzehn fertige Stücke auf ihrem Rechner, sagt die 28-Jährige, vor allem Theater für Kinder und Jugendliche, aber auch einiges für Erwachsene. Auslöser für das Schreiben waren offenbar die emotional aufwühlenden Eindrücke ihrer Reise in den Iran, den sie im Sommer 2009 nach langer Abwesenheit für sechs Wochen besuchte. Sie hatte eigentlich vor, einen Dokumentarfilm zu drehen. Aber wo immer sie mit ihrer kleinen Videokamera auftauchte, verstummten die Menschen, mit denen sie reden wollte: "Alle waren total scheu und hatten Angst", sagt sie. Da begann sie, alles aufzuschreiben, was ihr während der Reise durch den Kopf ging, was sie fühlte und was sie erlebte. Das war viel, und einiges von dem ist in "Stuttgart.Teheran" eingeflossen.

Sehnsuchtsort Hamam

"Stuttgart.Teheran" erzählt eindrücklich davon, wie ein Mensch sich fühlt, der nicht weiß, wohin er gehört. Der zwischen zwei konträren Welten hin und her gerissen ist: in diesem Fall das reiche, freie Deutschland – Projektionsfläche für so manch einen ungelebten Traum – und die Diktatur Iran mit ihrer zwischen Tradition und Moderne sich zerreißenden Kultur. In Deutschland frei zu sein, aber nicht zu Hause, und im Iran zu Hause zu sein, aber nicht frei: Das ist ein Zustand, der verwirrt und die sehnsüchtige Suche nach einer neuen Heimat in der Fremde, nachdem die alte unmöglich geworden ist, enorm erschwert.

Sami erzählt ihre Geschichte auf drei Zeitebenen, zwischen denen sie hin und her wechselt. Die Form ist brüchig, eine stringente Handlung gibt es nicht. In der neuen Fassung "Stuttgart.Teheran.Dialog" alternieren monologische mit dialogischen Abschnitten. Die kleinen Rollen, meist Familienmitglieder, werden vom Chor übernommen, der als Kollektiv auch in Wechselrede mit Sami tritt.

Erinnert wird die Kindheit im Iran zu Zeiten, da die politische Opposition verfolgt wurde und der erste Golfkrieg tobte. Sami vergegenwärtigt sich die kindlichen Glücksgefühle im Hamam, dem Dampfbad im Hause ihrer Großeltern, aber auch die Hölle im Luftschutzkeller. Sie ruft sich auch immer wieder die ersten Jahre in Deutschland ins Gedächtnis, erzählt vom Fremdsein, von den beengten Verhältnissen im Asylbewerberheim, von Anfeindungen und Ausgrenzungen, von der Trennung der Eltern. Und spricht aus der Perspektive der jungen Erwachsenen, die von der unstillbaren Sehnsucht getrieben ist, mit der Reise in den Iran das Paradies der Kindheit wiederzufinden.

Sauerkraut, Würstchen – und Teer

Dort muss Sami allerdings feststellen, dass ihr die alte Heimat völlig fremd geworden ist. Sie erfährt, wie unfrei ihre gleichaltrigen Cousinen leben müssen, fühlt sich beengt und beängstigt durch die Tatsache, als Frau keine Rechte zu haben – zumal als alleinreisende. An jeder Ecke lauert die Sittenpolizei, und sie gerät schließlich in die Fänge ihrer Verwandten, die sie zwangsverheiraten wollen. Erst ihr nachgereister Vater kann sie aus der prekären Situation retten.

Nein, mit dem "Paradies" ihrer Kindheit, das sie sich in ihrer Fantasie zurechtgeträumt hat, hat das nicht viel zu tun. Selbst das Essen bekommt ihr nicht mehr: "Alles schmeckt so wie früher, und das gefällt mir ... Aber mein Magen verträgt das nicht mehr". Sami fühlt sich so fremd im Iran wie in ihren ersten Jahren in Deutschland, wo ihr das ungewohnte Essen – Sauerkraut, Würstchen, Kartoffeln und Rosenkohl – ebenso Übelkeit bereitete wie der Geruch der Brauerei in den Straßen Stuttgarts.

Sinnliche Eindrücke spielen eine große Rolle in "Stuttgart.Teheran". Nach Teergeruch ist Sami "süchtig", weil nach dem Krieg alle Straßen im Iran neu asphaltiert wurden. Der heiße, scharf riechende Dampf, der über frisch geteerten deutschen Straßen hängt, holt die Kindheit zurück ins Jetzt. Das sind die Stärken des Stücks: Bilder für den schmerzhaften Zustand der Entwurzlung zu finden.

Sprache als Heimat

Das Thema Migration klingt immer mit in Reihaneh Youzbashi Dizajis Theaterstücken. Ihr "Brachland"[1] nennt sie es, das es für sie zu beackern gelte. Mit "Stuttgart.Teheran" habe sie begonnen, den unendlich vielen Fragen schreibend nachzugehen, die sich über die Jahre angesammelt hatten: Wie man es sich zwischen zwei Kulturen einrichten kann, was Heimat ist, und wo alle diese „Gefühle" herkommen: sich als fremd zu begreifen, anders zu sein, von anderen zu etwas Fremdem, gar Hassenswertem gemacht zu werden, nur weil man anders aussieht.

Es scheint, als habe Reihaneh Youzbashi Dizaji ein Stück Heimat in der deutschen Sprache gesucht und gefunden. In der Schule hielt es die Jugendliche nur wegen der Theater-AG aus. "Das Theaterspielen ermöglichte es mir, durch Auswendiglernen erstmals wirklich frei zu sprechen." Sprachdefizite glich sie auf diese Weise schnell aus. Die Oberstufe brach sie mit 17 Jahren ab, um Schauspiel an der Akademie der Künste in Ulm zu studieren. Heute weiß die 28-Jährige: "Schauspielerin wollte ich nicht werden, um berühmt zu werden, sondern weil es mich zu etwas Besonderem und gleichzeitig auch deutsch gemacht hat. Ich wollte mich unbedingt komplett integriert und als Deutsche wahrgenommen wissen."

Heute lebt Reihaneh Youzbashi Dizaji als freie Schauspielerin, Autorin und Filmemacherin in Berlin. "Es ist die schöne Anonymität, die ich hier extrem genieße." Berlin sei ein Ort, wo sie frei sein könne. Ihre Heimat? Der Begriff Heimat sei für sie etwas, das sich ständig wandele. "So wie ich mich selbst verändere. Im Moment ist diese Frage gar nicht so wichtig für mich."

 

Lesung von "Stuttgart.Teheran.Dialog" am dritten Autorentag, 6. Mai um 12.30 Uhr im Zwinger3

 

[1] In Anspielung auf das gleichnamige Stück von Dmitrij Gawrisch.

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