Schweigespräche

von Sophie Diesselhorst

Das Alpenvorland ist kein Land der geradlinigen Entscheidungen. Das liege im Erdverlauf begründet, erklärt Thomas Arzt, der selbst 1983 im oberösterreichischen Alpenvorland geboren ist, in seinem gleichnamigen Stück: "Ein Molasse-Zustand, in den wir hineingeboren wurden. Unsere Zone ist nicht stabil." Auf solchem Land ist nicht gut bauen. Hannes, eine der sieben Figuren in „Alpenvorland“, versucht es trotzdem. Hannes’ Baugrund auf molassigem Boden ist der Ort, an dem Thomas Arzt sein Stück ansiedelt. Drei Teile hat es, ein Teil entspricht je einem Tag.

Sieben Jugendfreunde treffen sich in der Heimat wieder. Erst im Frühling, um die Grundsteinlegung des Hauses, das Hannes und Heidi sich bauen, zu feiern. Im Sommer hat Heidi Hannes für Alf verlassen, und der Hausbau, den Hannes dennoch weiter betreibt, wird bei strömendem Regen zur Sisyphos-Arbeit, bei der Moritz, Bimbo und Bimbos Freundin Vroni, die schwanger ist, mithelfen. Getrennt voneinander kommen an dem Sommertag auch Heidi und Alf vorbei. Für das Herbst-Treffen der Freunde mit dem mittlerweile zur Welt gekommenen Kind von Vroni, von dem unklar ist, ob Bimbo, Moritz oder Alf der Vater ist, gibt es wieder einen konkreten Anlass: und zwar Heidis Tod unter weitgehend ungeklärten Umständen.

Grundsteine für die Zukunft

In "Alpenvorland“ ist also auch immer schon alles passiert. Der Heiratsantrag ist gemacht, der Grundstein ist gelegt, das Kind ist gezeugt, das Kind ist geboren, Heidi ist gestorben. Thomas Arzt guckt auf seine Figuren im Zustand der Vor- und Nachbearbeitung der Ereignisse, die sie immer tiefer in den nachgebenden Boden rammen. Es bleibt ihnen, zu trinken, zu reden, zu schweigen. Das Schweigen war schon in Arzts Vorgängerstück "Grillenparz" ein häufig eingesetztes Stilmittel, in "Alpenvorland" setzt sich das fort.

Heidi       --

Hannes   --

Bimbo     --

Vroni       --

Moritz      --

Sopherl   --

Hannes   --

Moritz      --

und so weiter, ein typisches "Arztsches Schweigespräch". Manche füllen ganze Szenen. Es wird bedeutungsvoll oder gelangweilt oder hilflos, aber immer abwechselnd geschwiegen.

Das Schweigen ist einfach da, wie vom Autor beobachtet. So auch das Reden. Thomas Arzt stülpt seinen Figuren keine Sprache über, sondern lässt sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: also umgangssprachlich kurz, mit dialektalem Einschlag, aber nur einem leichten. Denn wir befinden uns in der Mittelschicht, die in "Alpenvorland" eine Selbstentfremdung erfährt, mit der eine leise, aber deutlich wahrnehmbare Distanz zur Mundart einhergeht. Zu der der Autor selbst ein Vertrauensverhältnis pflegt: Im Blog des Wiener Schauspielhauses, an dem er 2010/11 Hausautor war und wo "Grillenparz" uraufgeführt wurde, leitet er sogar sein Kunstverständnis von ihr ab: "Rede ich im Oberösterreichischen von Kunst, dann von einer dialektalen Möglichkeitsform: Kunst ma a bier bringa? Kunst ma a bussal gebm? Kunst endlich weidascheißn?"

Kollektives Sprechen

In einer Möglichkeitsform, also aus anderen Welten, kommen dann auch die zwei Meta-Text-Ebenen daher, mit denen Thomas Arzt die Handlung von "Alpenvorland" kunstvoll durchsprenkelt hat. Da gibt es einerseits die in Versalien gesetzte Ebene des "kollektiven Sprechens", auf der Reden gehalten werden: "Daham ist daham. Und muss ich nicht fort, so bleib ich bei dir. Weil da schmeckt mir mein Fleisch und dir schmeckt dein Bier", mauert zum Beispiel ein gutgelauntes Hunderl in seiner "Rede ans Herrl" an der Tradition. Auf Hannes’ Baugrund, wo der sommerliche Sturzregen das Mauern schwermacht, wird "Bier aus dem Osten", also aus dem nahe liegenden anderssprachigen Nachbarland, bevorzugt – eine Ahnung der Fremde, die aber nur bis zum Flaschenboden erkundet wird. Allein Alf hat es in die Welt geschafft, der glatte Geschäftemacher, dem sie alle schon am Anfang nicht so recht mehr trauen und der ja dann auch dem Hannes die Heidi ausspannt.

Die zweite Zusatzebene ist eine monologische, die ausdrücklich außerhalb der Szenenhandlung spielt. Da wird nicht nur das Alpenvorland als „Molasse-Zustand“ beschrieben, sondern es werden auch und vor allem Klagen, Sehnsüchte, Lebens- und Weltbefunde einzelner formuliert, die in ihrer um sich selbst kreisenden Banalität etwas hilflos Suchendes haben. "Ich mach mir in letzter Zeit so Gedanken. Dass ich im Grund sehr wenig weiß. Wer kann überhaupt von sich sagen, was zu wissen? So ein Wissen, das ist ganz fragil“ philosophiert’s einmal vor sich hin. Und: „Alles ist im Grund sehr vage, das gesamte Dasein.“ So vage wie die Lebensverzweiflung der Mittelschicht, der sich die sieben Figuren allesamt angehörig fühlen, ohne damit irgendetwas anfangen zu können.

"Die Basis ist die Mittelschicht. Von der Mittelschicht hängt alles ab“, sagt Bimbo einmal. Da redet er über eine Buttercremetorte, die er zum Frühlingsfest mitgebracht hat. Nach einem Zwist zwischen Moritz und Alf landet sie größtenteils in den Gesichtern der Streitenden. Im freien Flug des Tortenstücks garantiert auch die beste Mittelschicht keinen Zusammenhalt mehr. „Ich glaub den Mittelstand gibt’s im Grund gar nicht. Unsere Schnittmenge aus oben und unten ist ein komischer Zustand. Sie zerrinnt, diese Menge, wie eine patzig gewordene Torte. An die Ränder. Der Mittelstand löst sich auf“, wird das Problem gegen Ende in einem der Monologstücke verdeutlicht.

Raunen eines Untergangs

Was bedeutet das für die sieben Figuren? Ihre Gemütlichkeit scheint nicht weiter bedroht; dass Hannes sich verschuldet hat, um das Baugrundstück zu erwerben, wird nur angedeutet. Nach Heidis Tod wird er es wohl eh wieder verkaufen. "Das Land ist einfach zu klein. Tiefste Provinz. Und ein Drittel wählt rechtsextrem", beginnt er in der letzten Szene seinen geordneten Rückzug aus der Illusion, im Alpenvorland Wurzeln schlagen zu können.

Es bedeutet wohl vor allem, dass sie die Vagheit ihres Daseins weiter aushalten müssen – die in den Gesprächen nach Heidis Tod noch mal so richtig schön zur Geltung kommen darf. Selbstbezichtigungen à la "Ich hätt bei ihr sein müssen“ wechseln sich da ab mit ebensolch lahmen Entschuldigungen („Sie ist nicht wegen dir ins Auto gestiegen", "Dafür kannst du nichts", "Keiner kann was dafür“). Die Schuld respektive Verantwortung stiehlt sich währenddessen endgültig vom Baugrund.

Und es ist klar: Die stabilisierende Kraft, die die Mittelschicht einst für die Gesellschaft war, sie ist geschwunden. Nicht nur im Alpenvorland, das sich wegen seiner natürlichen Gegebenheiten besonders gut als Ort für die Erzählung der Identitätskrise eignet, in der sich die aktuellen Mittelschicht-Kandidaten befinden. Thomas Arzts Schilderung dieser Krise ist eindrücklich, weil sie nicht dystopisch raunend, sondern heimtückisch normal daher kommt.

Lesung von "Alpenvorland" am dritten Autorentag, 6. Mai um 14 Uhr im Zwinger 3

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