Nichts ist, wie es scheint

von Georg Kasch

28. April 2012. Nein, einen Triumphzug über deutsche Bühnen werden die drei ägyptischen Texte des ersten Heidelberger Autorentages nicht antreten. Dennoch war der Sprung in die Gastlanddramatik erfrischend, weil von einer Gesellschaft die Rede ging, deren Alltag uns – trotz Tahrirplatz-Großaufnahmen über Wochen hinweg – fremd bleibt.

Etwa in Dina Solimans Stück "A'raies" (Braut/Puppen): Zehn Frauen arbeiten sich am andern Geschlecht ab, zwischen "so sind sie nun mal" und "Männer gibt's wie Sand am Meer". Im Stück, das sich oft wie ein vielfach gesplitterter innerer Monolog liest, liegt der Reflexionsgrad aber doch höher, als es zunächst scheinen mag: Hinterm verwischten Kajal etwa verbergen sich Facetten von (Selbst-)Zuschreibungen und mal schamvoller, mal selbstbewusster Abblenden. Dass die rührenden feministischen Selbstversicherungsstrategien keine Lifestyle-, sondern Überlebensfragen berühren, blinzelt durch die Zeilen.

Jungfernhäutchen und Kopfschmerztablette

Näher erscheint Zrinab Magdys "Rivo-loo-shun", das die ägyptische Revolution brühwarm verhandelt. So heiß nun allerdings auch nicht, denn die junge Heldin, eine Dichterin, wird von ihrer Mutter nicht an den Krisenherd Straße gelassen. Also erfindet sie eine Revolution auf dem Papier – und zerbricht sich während des seifenopernden Fortgangs der Dinge auffallend ausführlich den Kopf über ihr Jungfernhäutchen (praktisch, dass mit "Rivo" auch schon die Schmerztablette im Titel steckt).

Magdy würzt diese und andere Lamenti ironisch, spielt mit Zensur und Sexualität, mit Rollen- und Umsturzbildern. Und macht einmal mehr die vielen Unterschiede zwischen Ägypten und Europa deutlich: Die Botschaft "Sie haben Twitter blockiert" würde bei uns zwar zu einem Aufschrei der Netzgemeinde führen. In Ägypten aber kostete sie Leben.

Dem Leben abgetrotzt

So richtig dramatisch wird's dann erst in Hatem Hafez' packenden Kammerspiel "Angst": In einem Raum treffen vier Menschen aufeinander, ein Geschäftsmann (ironischerweise eigentlich Philosophieprofessor), ein "Verrückter", seine Geliebte, außerdem ein alter Mann. Drei Außenseiter gegen einen, der es nicht mal zum richtigen Geldsack gebracht hat – ist das fair? Es ist auf jeden Fall unterhaltsam, wie hier gesellschaftliche Konstellationen und Argumentationen durchgespielt und in immer neue Kurven getrieben werden. Die Botschaft, dass nichts ist, wie es scheint, wirkt als Schlusspointe dann zwar etwas banal. Dennoch ist sie als Beobachtung dem Leben abgetrotzt – No Time for Art hat dann ja auch gleich die Dokutheater-Variante nachgeliefert.

 

Rivo-loo-shun
von Zeinab Magdy
Einrichtung: Susanne Schmelcher.
Mit: Karen Dahmen, David Grimaud, Sibel Polat, Christina Rubruck.

Angst
von Hatem Hafez
Einrichtung: Jürgen Popig.
Mit: Steffen Gangloff, Karoline Horster, Horia-Dacian Nicoara, Olaf Weißenberg.

A'raies
von Dina Soliman
Einrichtung: Miriam Vorwitz.
Mit: Karen Dahmen, Christina Dom, Karolina Horster, Elisabeth Hütter, Joanna Kapsch, Sophie Lutz, Sibel Polat, Katharina Quast, Christina Rubruck, Anne Schäfer.

www.theaterheidelberg.de

 

Zum Video über die Lesung des ägyptischen Stückes "Rivo-loo-shun"

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