Das Unmögliche ist wieder nur Theater

von Simone Kaempf

1. Mai 2012. Woran denkt der Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann unter der Dusche? Jedenfalls nicht an zeitgenössische Dramatik. Er singe gelegentlich "La Traviata", wenn er im Badezimmer sei, bestätigt er an diesem Abend, was ihm die Moderatorin gleich als Desinteresse an gesellschaftlichen und politischen Fragen auslegt, um die sich das moderne Theater ja gemeinhin kümmere. Und so muss Ackermann wieder durch den Souffleurkasten abgehen, weil hier bitteschön politisches Theater gemacht werde.

der grosse marsch3 simonhallstroemIst das die Vierte Wand? © Simon Hallström

Die Lacher des Publikums hat die Inszenierung damit auf ihrer Seite. Die lockere Art wie Antje Schupp Wolfram Lotz' Stück anpackt, lässt diese Realität-Fiktions-Befragung mit vielen Bezügen aufs Theatermachen kräftig Fahrt aufnehmen. Des Weiteren treten auf: Hamlet, der Arbeitgeberpräsident Hundt, der Autor selbst, die Autorenmutter, zwölf mongoloide Kinder, Prometheus. Alle unbedingt echt, "nicht durch Schauspieler zu ersetzen", denn Lotz fordert ironisch von der Kunst, was es im Leben nicht gibt: das Unmögliche.

Die vierte Wand schließt sich

Die Szenerie wechselt bald ans Büffet, von dem der Autor, der gemeinhin von der Hand in den Mund lebt, Buletten stiehlt und zur Unterhaltung des Publikums eine Art Baselitz'schen Kopfstand vorlegt. All die Grundfragen des Theaters, seine Produktionsbedingungen und kleinen Zwistigkeiten sind in den Szenenreigen gepackt. Der Unterhaltungswert dieses Abends liegt in der Offenlegung der Illusionsmaschinerie Theater, seinem komplizierter gewordenen Verhältnis zur Wirklichkeit, und Antje Schupp geht das alles mit ungeheurem Ideenreichtum an.

Nach der kurzen Pause, die von einem Spiel im Foyer eingeläutet wird, offenbart sich allerdings, dass man zwar Lotz' Text wirklich für neu, unbedingt, mit Kraft und Witz gefüllt ansehen mag. Aber die Inszenierung leidet doch zunehmend darunter, dass die Welt hier mal wieder nur das Theater ist, um das sich alles dreht. Die Schauspieler tun nun so, als sei das Publikum gar nicht da. Die Schweinwerfer fahren hoch und runter, um Action zu erzeugen. Die Witze werden flacher. Die Sinnöffnung zum Leben hinter der vierten Wand schließt sich, indem sich das Theater hermetisch in sich selbst kuschelt. Die Schauspieler ziehen am Ende nochmal alle Register, tragen laufsteg-lächelnd die Nereiden als Heer kopfloser Papp-Statuen heran, und allen voran die fluffige Mira Kandathil, die hier mal Kind, mal schlurfende Kellnerin, mal rheinische Künstlermutter gibt, nimmt einen völlig ein. Und doch hat sich nach zweieinhalb Stunden das anfängliche Crescendo im Kleinen verloren.

 

 

Der große Marsch
von Wolfram Lotz
Regie: Antje Schupp, Bühne: Marion Menziger, Kostüme: Claudia Irro, Licht: HeidVoegelinLights, Dramaturgie: Martina Grohmann.
Mit: Nicole Coulibaly, Mira Kandathil, Nils Amadeus Lange, Lorenz Nufer.
www.theaterbasel.ch

 

Zum Inszenierungsporträt

Kommentare   

+3 #1 Schauspieler aus BaselHeideltaler 2012-05-02 17:36
Die andern Schauspieler aus Basel sind aber auch ganz famos: Nicole Coulibaly, deren Hysterie zunehmend leer dreht, Nils Amadeus Lange, der die Seegurke tanzt und Lorenz Nufer, der die Bonzen bei aller Aasigkeit auch immer mit einer irgendwie liebenswerten Hilflosigkeit ausstattet. Glücklich das Theater, das solche Schauspieler hat!

You have no rights to post comments