Und wieder kein Fest

von Simone Kaempf

Zweimal eine Wohnbox mit Sofa und Sessel. Zweimal ein Haus – sowohl bei der Uraufführung in Jena als auch bei der Saarbrücker Zweitaufführung. Sieht man von Akzentverschiebungen ab – hier Retro-Schick, dort ein wenig naturalistisches Fußbodenknarzen – ähneln sich die Settings von "Villa Dolorosa", und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch bei einer Fünft- oder Sechstinszenierung kein Regisseur auf die Idee käme, Rebekka Kricheldorfs Stück auf einer grünen Wiese oder unter rauschenden Birken spielen zu lassen.

Denn die Perspektive ergibt sich vor allem aus den Figuren. Es sind redegewandte Figuren, die dieses Stück zu einem Konversationsstück machen, für das ein Wohnzimmer nicht der schlechteste Raum ist. Dreimal wird in "Villa Dolorosa" Irinas Geburtstag gefeiert. Dreimal schmiedet Irina zusammen mit ihren Schwestern Mascha und Olga große Pläne, aber dann klingelt wieder nur der abgelegte Verehrer an der Tür, wird die Partymusik aus der Jugendzeit aufgelegt, entpuppt sich der Studiumswechsel als Schnapsidee. Auf dem Weg in die Zukunft ist man vor irrationalen Rückschritten nicht gefeit: Das ist die Botschaft der schönen Irrwege, die diese drei Schwestern einschlagen. Lässt man die komödiantische Sicht beiseite, die Kricheldorf stets zubilligt, zeigt sich das bei ihr oft wiederkehrende, ernste Thema: das Kräfteverhältnis eines Einzelnen zu der Welt, die ihn umgibt.

villa dolorosa2 andreasseifertDrei Schwestern à la Kricheldorf
© Andreas Seifert
Zweitaufführung als günstige Bedingung

Es sind große Denkfelder, die sich in dem Stück öffnen und dem Zuschauer en detail ein überbordendes Identifikationspotential bieten. Das Leitmotiv einer jeden Generation, sich die Welt zu neu zu erfinden, wird anhand alltäglicher Themen durchgespielt: sich verlieben, Freundschaften pflegen, den passenden Job finden. Alles Bereiche, in denen alte Rollenvorstellungen nicht mehr funktionieren, und Kricheldorf lässt die drei Frauen ihre Vorstellungen von Liebe und Arbeit neu vermessen. Da strengt sich die Lehrerin Olga nie an und ist doch immer die beste, was ihr wider Willen die Beförderung zur Schuldirektorin einbringt. Mascha beharrt darauf, dass erst Bezahlung eine Beschäftigung zur Arbeit macht. Und Irina sucht vor ihrer Entscheidung für einen Job noch nach einer gewichtigen Ideenrüstung, "weil Arbeit doch das ist, was die Menschheit weiterbringen soll".

Diese unterschiedlichen Haltungen entwickelt Kricheldorf Satz für Satz, weist den Figuren auch monologische Redeschleifen zu: Im Ergebnis sind es auf der Bühne die Schauspieler, die in ihrer Unterschiedlichkeit Akzente setzen. Von der Inszenierung in Jena bleibt einem Zoe Hutmacher als verzärtelte Mascha besonders in Erinnerung. In Erich Sidlers Inszenierung in Saarbrücken holt Saskia Petzold noch einmal mehr aus der Rolle der ältesten Schwester Olga heraus. Dass die Rollen bei Sidler alle etwas älter besetzt sind als der Text vorsieht, scheint den Figuren mehr Tiefe zu verleihen, aber vielleicht ist es dem Regisseur hier auch einfach gelungen, in der Zweitaufführung unter günstigen Bedingungen stärker in den Text einzudringen.

Der unbeobachtete Regisseur

"Ob man eine Uraufführung oder eine Zweitaufführung macht, das ist anders, total anders", sagt Sidler (Jahrgang 1965), der noch bis zum Sommer die Schauspielsparte am Stadttheater Bern leitet. Als Regisseur sei er bei einer Zweitinszenierung wesentlich entspannter, weil man sich durch das Nachspielen unbeobachteter fühlt und das Stück allein aufgrund seiner Stärken auswählt. "Als Theaterleiter ist mir natürlich eine Uraufführung wichtig, weil sie Aufmerksamkeit bekommt." Allerdings sei gerade einiges im Wandel. Die Presse würde mittlerweile stärker die Qualität hinterfragen, und weil sich auch das Publikum aufgeschlossener gegenüber zeitgenössischen Texten zeige, könnte sich die Vorselektion durch die Theater in diese Richtung verändern.

"Mich jedenfalls interessieren Texte, die so gut sind, dass ich mich sechs bis acht Wochen auf den Proben mit ihnen beschäftigen kann", sagt der Regisseur, der bereits in der Vergangenheit Stücke von Kricheldorf inszeniert hat, 2004 in Stuttgart "Die Ballade vom Nadelbaumkiller" und 2010 "Murder Ballads" in Bern. Kricheldorfs Name fällt oft, wenn es darum geht, dass die Theater mit zeitgenössischen Autoren feste und regelmäßige Bindungen eingehen. Thomas Bockelmann in Kassel oder das Theater Osnabrück, wo man früh die Qualität ihrer Texte für sich entdeckte, haben kontinuierlich mir ihr zusammengearbeitet.

Melancholische Komödie

"Villa Dolorosa" ist eigentlich eine Nachdichtung von Tschechows "Drei Schwestern", aber Kricheldorf hat daraus ein eigenes Gegenwartsstück gemacht, das durchlässig für die Themen der Zeit ist und doch nicht als Sozialstück daherkommt. Ihre Figuren sind veränderten Rollen und auseinanderklaffenden Erwartungen ausgesetzt. Als potentielle Komödie ist "Villa Dolorosa" interessant, weil es gerade keine Satire ist, sondern von einem Humor lebt, der sich nicht lustig macht und unter den sich immer auch Melancholie mischt. Und die kommt auch in Sidlers Inszenierung am Ende immer stärker zum Tragen, wenn Irinas Geburtstag wieder kein Fest war, und die Schwestern trotz aller Vergeblichkeit widerborstig-rhetorisch das Leben herausfordern. Dann sitzen sie ein letztes Mal auf dem Sofa, denken übers Leben nach und sind doch keine Kunstfiguren, sondern einem auf sympathische Weise sehr nah gekommen.

 

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