Nichts wie weg

von Georg Kasch

4. Mai 2012. Wo der Himmel nicht voller Geigen, sondern voller alter Lampen hängt wie hier, ist die Zukunft zum Scheitern verurteilt: In eine schrumpfende Stadt irgendwo im Osten schneit Ina vom Studium herein, zum Geburtstag des Großvaters. Sofort ist die Laune im Keller: Ihre Mutter fühlt sich alleingelassen und zur Geldbeschafferin degradiert. Ihre Großmutter, die stramme Kommunistin, wirft allen anderen Wendehalsigkeit vor. Ihr Ex Daniel will hier nicht weg und versucht, vollkommen autonom zu leben.

im ruecken die stadt3 marlieskrossDer Himmel voller Lampen © Marlies Kross

Während sie auf ihren Podestlandschaft-Inseln in Harald Fuhrmanns Cottbusser Inszenierung versuchen, ihre diffusen privaten Befindlichkeiten mit kritischen Fragen zu klären, kauft Heiko, der Selfmade-Man, den halben Ort auf, um einen Freizeitpark zu bauen. Viel ist nicht los in der schrumpfenden Stadt und in dieser konzentrierten, puren Inszenierung. Erst, als der Freizeitpark eröffnet wird, fällt die hintere Bühnenwand – das Publikum und die nun wild blinkenden Lampen spiegeln sich gespenstisch.

Wann ist es Zeit zu gehen?

Thomas Freyer stellt in seinem klugen Stück die Frage, wie weit uns Vergangenheit bestimmt, bestimmen darf. Wie viel wollen, wie viel sollten wir wissen? Wie weit lässt sich Autonomie leben, bevor sie in Egoismus umschlägt? Und wann ist es Zeit, zu gehen und die Wurzeln zu kappen? Dazu singen Laura Maria Hänsel, Sigrun Fischer, Jan Hasenfuß und Rolf-Jürgen Gebert berührend schlicht Ost-Hits wie "Als ich fortging, war der Asphalt heiß", die jetzt, gut zwei Jahrzehnte nach der Wende, eine neue Bedeutung erhalten.

Antworten gibt's natürlich keine, aber der Chor der desillusionierten Ost-Prototypen, die sich selbst und einander geschwätzig was vormachen, ist dann doch eine Botschaft: Nichts wie weg hier.

 

Im Rücken die Stadt
von Thomas Freyer
Regie: Harald Fuhrmann, Ausstattung: Okarina Peter, Timo Dentler, Dramaturgie: Bettina Jantzen. Mit: Laura Maria Hänsel, Ariadne Pabst, Sigrun Fischer, Jan Hasenfuß, Rolf-Jürgen Gebert, Michael Becker, Gunnar Golkowski, Berndt Stichler.
www.staatstheater-cottbus.de

 

Zum Inszenierungsporträt

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